Kinetische und potentielle Energie des physikalischen Pendels

Das physikalische Pendel soll ebenfalls mit Hilfe des Lagrange Formalismus behandelt werden, wie das bereits hier und hier getan wurde. Wir nehmen an, dass ein massiver Körper der Masse \(m\) an einem Aufhängepunkt befestigt ist, welcher nicht mit dem Massenmittelpunkt übereinstimmt (so dass ein Drehmoment entsteht). Die Reibung (in der Luft oder am Aufhängepunkt) wird als vernachlässigbar angesehen. Die Anfangsauslenkung ist \(\phi_0\). Das physikalische Pendel kann nicht wie das mathematische Pendel als Punktmasse betrachtet werden, verschiedene Punkte des massiven Körpers haben im Allgemeinen auch verschiedene Bahngeschwindigkeiten.

Hier nehmen wir an, dass das Pendel aus einem zylinderförmigen dünnen Stab besteht, der an einem Ende aufgehängt ist. Der Massenmittelpunkt befindet sich in der Mitte des Stabes (siehe Skizze, roter Punkt). Als generalisierte Koordinate dient wieder der Auslenkungswinkel \(\phi\), denn durch diesen Winkel und dessen Zeitableitung \(\dot{\phi}\) kann das mechanische System eindeutig charakterisiert werden. Der Nullpunkt der potentiellen Energie kann beliebig gewählt werden. Hier ist es günstig anzunehmen, dass \(E_{pot}=0\) gilt, wenn sich der Massenmittelpunkt vertikal unter der Aufhängung befindet, also wenn \(\phi=0\) ist.

Um die Lagrange-Gleichung aufzustellen, brauchen wir die kinetische Energie des Körpers sowie das Potential (die potentielle Energie) in Abhängigkeit von den generalisierten Koordinaten und deren Zeitableitungen, hier also von \(\phi\) und \(\dot{\phi}\).

Die potentielle Energie:

Die potentielle Energie kann von der generalisierten Koordinate \(\phi\) abhängig gemacht werden. Für Winkel \(\phi\gt 0\) liegt der Massenmittelpunkt um den Betrag \(h\) über dem Nullpunkt (siehe Skizze):

\[ h = L/2 - L/2 \cdot \cos{\phi} = L/2 \cdot \left(1-\cos{\phi}\right) \]

die potentielle Energie beträgt also:

\[ E_{pot}\left(\phi\right)= m \cdot g \cdot h = m \cdot g \cdot L/2 \cdot \left(1-\cos{\phi}\right) \].

Die kinetische Energie:

Im Gegensatz zum mathematischen Pendel handelt es sich hier um eine Drehbewegung, die kinetische Energie der Rotation beträgt:

\[ E_{rot} = \frac{J}{2} \cdot \omega^2 \] wobei \(J\) das Trägheitsmoment und \(\omega\) die Winkelgeschwindigkweit ist (\(\omega = \dot{\phi}\)).

Das Trägheitsmoment eines an einem Ende aufgehängten zylinderförmigen dünnen Stabes beträgt (siehe Wikipedia):

\[ J = \frac{1}{3} \cdot m \cdot L^2 \] Damit wird die kinetische Energie:

\[ E_{rot}\left(\dot{\phi}\right) = \frac{1}{6} \cdot m \cdot L^2 \cdot \omega^2 = \frac{1}{6} \cdot m \cdot L^2 \cdot \dot{\phi}^2 \]

Damit ist die kinetische Energie nur von der zeitlichen Ableitung der generalisierten Koordinate abhängig, alle anderen Größen sind (bekannte) Konstanten.


Lagrange-Gleichung für das physikalische Pendel

Die Kenntnis von kinetischer und potentieller Energie reicht aus, um die Lagrange-Funktion \(L\) zu finden. Es ist

\[ L ( \phi \; , \; \dot{\phi} ) = E_{kin} - E_{pot} = \frac{1}{6} \cdot m \cdot L^2 \cdot \dot{\phi}^2 - m \cdot g \cdot L/2 \cdot \left(1-\cos{\phi}\right) \] Die Lagrange-Gleichung lautet allgemein:

\[ \frac{d}{dt} \frac{\partial L}{\partial \dot{q}} - \frac{\partial L}{\partial q} = 0 \]

Dabei ist \(q\) die generalisierte Koordinate, \(\dot{q}\) deren Zeitableitung.

Für unser Problem haben wir \(q \rightarrow \phi\) und \(\dot{q} \rightarrow \dot{\phi}\), also

\[ \frac{d}{dt} \frac{\partial L}{\partial \dot{\phi}} - \frac{\partial L}{\partial \phi} = 0 \hspace{2cm} (1) \]

Wir berechnen zunächst die partiellen Ableitungen:

\[ \frac{\partial L}{\partial \dot{\phi}}= \frac{\partial }{\partial \dot{\phi}} \Bigg[ E_{kin}-E_{pot}\Bigg] = \frac{\partial }{\partial \dot{\phi}} \Bigg[\frac{1}{6} \cdot m \cdot L^2 \cdot \dot{\phi}^2 - m \cdot g \cdot L/2 \cdot \left(1-\cos{\phi}\right) \Bigg] = \frac{1}{3} \cdot m \cdot L^2 \cdot \dot{\phi} \]

\[ \frac{\partial L}{\partial \phi}=\frac{\partial }{\partial \phi} \Bigg[ E_{kin}-E_{pot}\Bigg]=\frac{\partial }{\partial \phi}\Bigg[ \frac{1}{6} \cdot m \cdot L^2 \cdot \dot{\phi}^2 - m \cdot g \cdot L/2 \cdot \left(1-\cos{\phi}\right) \Bigg]= - m \cdot g \cdot L/2 \cdot \sin{\phi} \]

Nun noch die Zeitableitung des ersten Ausdruckes:

\[ \frac{d}{dt} \frac{\partial L}{\partial \dot{\phi}} = \frac{d}{dt} \Bigg[ \frac{1}{3} \cdot m \cdot L^2 \cdot \dot{\phi} \Bigg] = \frac{1}{3} \cdot m \cdot L^2 \cdot \ddot{\phi} \] Es taucht hier die Winkelbeschleunigung \(\ddot{\phi}\) auf. Die Lagrange-Gleichung (1) wird nun:

\[ \frac{1}{3} \cdot m \cdot L^2 \cdot \ddot{\phi} + m \cdot g \cdot L/2 \cdot \sin{\phi} = 0 \] Nach Kürzen erhalten wir daraus die Bewegungsgleichung für ein Pendel in Form eines dünnen Stabes:

\[ \ddot{\phi} + \frac{3}{2} \cdot \frac{g}{L} \cdot \sin{\phi} = 0 \]

Dieser Ausdruck ähnelt der Bewegungsgleichung für das mathematische Pendel sehr. Wenn wir eine effektive Länge \(L_{eff} = 2/3 \cdot L\) definieren, dann wird die Bewegungsgleichung für den dünnen Stab:

\[ \ddot{\phi} + \frac{g}{L_{eff}} \cdot \sin{\phi} = 0 \] Es gelten also alle bereits hier durchgeführten Berechnungen, wenn nur \(L\) durch \(L_{eff}\) ersetzt wird. Wir führen daher keine weiteren Berechnungen durch.


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